ERINNERUNGEN VON FIORENZA KRETZ

Ich heisse Fiorenza Kretz, aber alle nennen mich Fiore. Mein Geburtsdatum ist der 26. September 1952. Zum Fussball bin ich durch Rita Schmid gekommen. Wir gingen auf die gleiche Schule, ins Holdenbach in Zürich Affoltern. Sie sah mich auf dem Pausenplatz immer mit den Knaben tschutten und sagte eines Tages: Komm doch mit! Ich war etwa 16, als ich an einem Mittwoch erstmals ins Training im Letzi-Schulhaus ging. Es tönt ein bisschen blöd, wenn ich das nun so von mir erzähle, aber als ich zum ersten Mal in die Halle kam, habe ich eine nach der anderen ausgedribbelt, weil ich technisch ziemlich versiert war. Und so musste ich am darauf folgenden Sonntag schon im Utogrund spielen! Der Trainer stellte mich auf den rechten Flügel, wohl wegen meiner Schnelligkeit. Später spielte ich oft im offensiven Mittelfeld und die letzten paar Jahre als Libero.

Fiorenza Kretz beim Länderspiel gegen Frankreich am 7. Mai 1972. (Bild: Keystone/Photopress)

Fiorenza Kretz beim Länderspiel gegen Frankreich am 7. Mai 1972. (Bild: Keystone/Photopress)

Ich hatte erst an den Grümpelturnieren gemerkt, dass es noch ganz viele andere Mädchen gab, die Fussball spielten. Bei uns im Schulhaus war ich ja die Einzige! Ich weiss noch genau, dass ich zu Hause erst gar nichts sagte – und als ich kurzfristig ankündigte: «Ich gehe heute ins Fussballtraining!», da schimpfte mein Vater, weil als Mädchen durfte ich damals abends noch nicht alleine weg. Später hat er sich selber sehr aktiv im Klub engagiert, als Aktuar und Vizepräsident.

1970 gab es in der Schweiz Auswahltrainings für die erste Frauenfussball-Weltmeisterschaft in Italien. Wir mussten dafür nach Sion reisen. Dort gab es Trainingsspiele. Wir wurden bewertet und ich schaffte es tatsächlich ins WM-Aufgebot für Salerno. Das ist jene berühmte Geschichte, als wir so «beschissen» wurden. Ich habe es so in Erinnerung, dass haarsträubende Offside-Entscheidungen gepfiffen wurden, weil wir sonst alleine aufs Tor gekommen wären. Ebenso wurden schlimme Fouls der Italienerinnen nicht gepfiffen. Ich selber war ja nicht in der Startaufstellung und als Trainer Jacques Gaillard mich einwechseln wollte, war meine Spielerkarte, die wir dem Schiedsrichter hätten abgeben müssen, plötzlich unauffindbar ... Also ich weiss nicht, was damals in Italien alles lief, aber es war skandalös! Und so konnte ich nicht mitspielen bei diesem einzigen WM-Spiel. Wir verloren ja und nach einer einzigen Niederlage war man damals schon raus aus dem Turnier.

Das erste WM-Team der Schweiz 1970 mit Fiorenza Kretz (obere Reihe, 5. v.l.).

Das erste WM-Team der Schweiz 1970 mit Fiorenza Kretz (obere Reihe, 5. v.l.).

Meine Familie stand ja zum Glück immer hinter mir, was meinen Sport anging. Und als ich in der «Stifti» war und 1970 das Nati-Aufgebot für die WM bekam, hat mir mein damaliger Arbeitgeber «Helvetia» eine zusätzliche Ferienwoche gewährt. Anschliessend gab es sogar einen Bericht über mich in der Firmenzeitung. Im November 1970 absolvierte ich dann das Länderspiel in Schaffhausen gegen Österreich, schoss ein Tor selber und gab zu zweien die Flanke. Auch gegen Frankreich 1972 spielte ich und an einen Match in Schweden erinnere ich mich auch noch.

Fiorenza Kretz 2018 (Bild: Keystone/Melanie Duchene)

Fiorenza Kretz 2018 (Bild: Keystone/Melanie Duchene)

Im Klub spielte ich ab 1971 meine ganze Karriere bis 1986 bei den Blue Stars. Zwischendurch ging ich zwar eineinhalb Saisons zu Spreitenbach, wollte aber zurück, weil es eben doch nichts Schöneres als die Blue Stars gab. «Berühmt» wurde ich ja auch, weil ich die erste Spielerin im Verein war, die jemals eine rote Karte erhielt. An diese Szene kann ich mich sehr gut erinnern. Ich war ja wirklich ein komplett anderer Mensch auf dem Fussballplatz, weil ich so verbissen war ... Es kam also mal wieder so ein «Scheisspass» einer Mitspielerin und ich fluchte ziemlich laut, so dass mir der Schiri schon mal eine gelbe Karte wegen unsportlichem Verhalten gab. Daraufhin war ich nur noch wütender und säbelte eine Gegnerin, die durchgebrochen war, voll um ... und sah gleich auch noch die rote Karte. Zu Beginn gab es in jedem Team vielleicht drei Spielerinnen, die wirklich gut waren – aber es hatte halt immer auch die, die kaum einen Fünf-Meter-Pass schlagen konnten.

Ich selber war schnell, dribbelstark und hatte eine gute Übersicht. Mein schönstes Tor schoss ich gegen unseren Erzrivalen, die Damen des FC Zürich. Wir mussten unsere Heimspiele eine Zeit lang in Witikon austragen. Der damalige FCZ-Trainer Emil Flecklin liess immer die gleiche Spielerin gegen mich laufen, Marta hiess sie. Und sie foulte und foulte mich nonstop, so dass mein Bein bis zur Pause schon geschwollen war. In der zweiten Halbzeit aber kam meine Genugtuung, als ich sie einmal abhängte, aus zwanzig Metern abzog und der Ball oben «im Briefkasten» landete. Ich drehte mich sofort zu Flecklin um und lachte. Später hat er uns bei Blue Stars ja dann auch mal trainiert und mir gestanden, dass er mich immer absichtlich provozieren wollte in den Derbys. Also mir gibt dieses Tor heute noch ein gutes Gefühl!

[Aufgezeichnet am 2.2.2018 in Zürich]